F20 - F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

Einleitung

Die Schizophrenie ist die häufigste und wichtigste Störung dieser Gruppe. Die schizotype Störung weist zahlreiche für schizophrene Störungen charakteristische Symptome auf und steht wahrscheinlich genetisch mit dieser in Beziehung. Halluzinationen, Wahn und schwere Verhaltensstörungen wie bei der Schizophrenie selbst fehlen und die Störung wird deshalb von Ärzten nicht immer erkannt. Die meisten wahnhaften Störungen haben wahrscheinlich keine Verbindung mit der Schizophrenie, obwohl sie klinisch, besonders in ihren frühen Stadien, manchmal schwierig zu unterscheiden sind. Es handelt sich um eine heterogene und bisher noch wenig verstandene Reihe von Störungen, die aus praktischen Gründen nach ihrer typischen Dauer in eine Gruppe anhaltender wahnhafter Störungen und eine größere Gruppe akuter vorübergehender psychotischer Störungen unterteilt wird. Die letztgenannten scheinen in Entwicklungsländern besonders häufig vorzukommen. Die hier angegebenen Unterteilungen sind als vorläufig zu betrachten. Schizoaffektive Störungen finden sich trotz ihres umstrittenen Charakters weiterhin in diesem Abschnitt.

(Weiteres siehe unten.)


 

 

 

 

 

 

 


F20 Schizophrenie


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Die schizophrenen Störungen sind im allgemeinen durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflachte Affektivität gekennzeichnet. Die Klarheit des Bewußtseins und die intellektuellen Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt. Im Laufe der Zeit können sich jedoch gewisse kognitive Defizite entwickeln. Die Störung beeinträchtigt die Grundfunktionen, die dem normalen Menschen ein Gefühl von Individualität, Einzigartigkeit und Entscheidungsfreiheit geben. Die Betroffenen glauben oft, daß ihre innersten Gedanken, Gefühle und Handlungen anderen bekannt sind oder, daß andere daran teilhaben. Ein Erklärungswahn kann entstehen, mit dem Inhalt, daß natürliche oder übernatürliche Kräfte tätig sind, welche die Gedanken und Handlungen des betreffenden Individuums in oft bizarrer Weise beeinflussen. Die Betroffenen können sich so als Schlüsselfigur allen Geschehens erleben. Besonders akustische Halluzinationen sind häufig und können das Verhalten oder die Gedanken kommentieren. Die Wahrnehmung ist oft auf andere Weise gestört: Farben oder Geräusche können ungewöhnlich lebhaft oder in ihrer Qualität verändert wahrgenommen werden. Unbedeutende Eigenschaften alltäglicher Dinge können wichtiger sein als das ganze Objekt oder die Gesamtsituation. Zu Beginn ist auch Ratlosigkeit häufig und führt oft zu der Überzeugung, daß alltägliche Situationen eine besondere, meist unheimliche Bedeutung besitzen, die sich einzig auf die betroffene Person bezieht.

Bei der charakteristischen schizophrenen Denkstörung werden nebensächliche und unwichtige Züge eines Gesamtkonzepts, die bei normaler psychischer Aktivität eine geringe Rolle spielen, in den Vordergrund gerückt und an Stelle wichtiger und situationsentsprechender Elemente verwendet. So wird das Denken vage, schief und verschwommen, und der sprachlicher Ausdruck wird gelegentlich unverständlich. Brüche und Einschiebungen in den Gedankenfluß sind häufig. Gedanken scheinen wie von einer äußeren Stelle entzogen.

Die Stimmung ist charakteristischerweise flach, kapriziös oder unangemessen. Ambivalenz und Antriebsstörung können als Trägheit, Negativismus oder Stupor erscheinen. Katatonie kann vorhanden sein.

Die Störung kann akut mit schwerwiegend gestörtem Verhalten beginnen oder schleichend mit allmählicher Entwicklung seltsamer Gedanken und Verhaltensweisen. Der Verlauf zeigt gleichfalls große Unterschiede und ist keineswegs unvermeidlich chronisch oder sich verschlechternd (die Klassifikation des Verlaufs erfolgt mittels der fünften Stelle). Bei einem Teil der Fälle, der in verschiedenen Kulturen und Bevölkerungen variiert, kommt es zur vollständigen oder fast vollständigen Heilung. Die beiden Geschlechter sind etwa gleich häufig betroffen, aber der Beginn liegt bei den Frauen tendenziell später.

Obwohl keine eindeutig pathognomonischen Symptome zu benennen sind, ist es aus praktischen Überlegungen sinnvoll, die oben genannten Symptome in Gruppen zu unterteilen, die besondere Bedeutung für die Diagnose haben und oft gemeinsam auftreten:

1.      Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung.

2.      Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmungen.

3.      Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über den Patienten und sein Verhalten sprechen, oder andere Stimmen, die aus einem Teil des Körpers kommen.

4.      Anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer bizarrer Wahn, wie der, eine religiöse oder politische Persönlichkeit zu sein, übermenschliche Kräfte und Fähigkeiten zu besitzen (z.B. das Wetter kontrollieren zu können oder im Kontakt mit Außerirdischen zu sein).

5.      Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, begleitet entweder von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deutliche affektive Beteiligung, oder begleitet von anhaltenden überwertigen Ideen, täglich über Wochen oder Monate auftretend.

6.      Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluß, was zu Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt.

7.      Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächserne Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor.

8.      "Negative" Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte, zumeist mit sozialem Rückzug und verminderter sozialer Leistungsfähigkeit. Diese Symptome dürfen nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht sein.

9.      Eine eindeutige und durchgängige Veränderung bestimmter umfassender Aspekte des Verhaltens der betreffenden Person, die sich in Ziellosigkeit, Trägheit, einer in sich selbst verlorenen Haltung und sozialem Rückzug manifestiert.

Diagnostische Leitlinien

Erforderlich für die Diagnose Schizophrenie ist mindestens ein eindeutiges Symptom (zwei oder mehr, wenn weniger eindeutig) der obengenannten Gruppen 1 4 oder mindestens zwei Symptome der Gruppen 5 - 8. Diese Symptome müssen fast ständig während eines Monats oder länger deutlich vorhanden gewesen sein. Zustandsbilder mit den geforderten Symptomen, aber kürzer als einen Monat andauernd (ob behandelt oder nicht) sollen zunächst als akute schizophreniforme psychotische Störung (F23.2) diagnostiziert werden und als Schizophrenie erst dann, wenn die Symptome länger bestanden haben. Kriterium 9. der oben angegebenen Liste bezieht sich auf die Schizophrenia simplex, als Zeitkriterium wird dabei eine Dauer von mindestens einem Jahr gefordert.

Retrospektiv kann möglicherweise eine Prodromalphase identifiziert werden, in der Symptome und Verhaltensweisen wie Interesseverlust an der Arbeit, an sozialen Aktivitäten, am persönlichen Erscheinungsbild und an der Körperhygiene zusammen mit generalisierter Angst, leichter Depression und Selbstversunkenheit dem Auftreten psychotischer Symptome Wochen oder sogar Monate vorausgehen können. Wegen der Schwierigkeit, den Beginn festzulegen, bezieht sich das Zeitkriterium von einem Monat nur auf die oben aufgelisteten spezifischen Symptome und nicht auf die nichtpsychotische Prodromalphase.

Die Diagnose Schizophrenie soll bei ausgeprägten depressiven oder manischen Symptomen nicht gestellt werden, es sei denn, schizophrene Symptome wären der affektiven Störung vorausgegangen. Wenn schizophrene und affektive Symptome sich gleichzeitig entwickeln und in etwa gleicher Intensität auftreten, ist eine schizoaffektive Störung (F25.-) zu diagnostizieren, selbst dann, wenn die schizophrenen Symptome für sich gesehen die Diagnose einer Schizophrenie rechtfertigen würden. Auch bei eindeutiger Gehirnerkankung, während einer Intoxikation oder während des Entzuges soll keine Schizophrenie diagnostiziert werden. Schizophrenieähnliche Zustandsbilder bei Epilepsie oder anderen Hirnerkrankungen sind unter F06.2 zu kodieren, die durch Drogen verursachten unter F1x.5.


F20.0 paranoide Schizophrenie


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Hierbei handelt es sich um die in den meisten Teilen der Welt häufigste Schizophrenieform. Das klinische Bild wird von ziemlich dauerhaften, oft paranoiden, Wahnvorstellungen beherrscht, meist begleitet von in der Regel akustischen Halluzinationen, und anderen Wahrnehmungsstörungen. Störungen der Stimmung, des Antriebs, und der Sprache, sowie katatone Symptome stehen nicht im Vordergrund.

Beispiele für die häufigsten wahnhaften bzw. halluzinatorischen Symptome sind:

  1. Eifersuchtswahn, Beziehungswahn, Verfolgungswahn, coenästhetischer Wahn, Abstammungswahn, Sendungswahn

  2. Stimmen, die den Betroffenen bedrohen oder ihm Befehle geben, nichtverbale akustische Halluzinationen (Akoasmen) wie Pfeifen, Brummen oder Lachen.

  3. Geruchs- oder Geschmackshalluzinationen, sexuelle oder andere Körperhalluzinationen. Optische Halluzinationen können ebenfalls auftreten, stehen aber selten im Vordergrund.

Denkstörungen können im akuten Zustand deutlich sein, aber sie verhindern nicht die klare Beschreibung der typischen Wahngedanken oder Halluzinationen. Der Affekt ist meist weniger verflacht als bei den anderen Schizophrenieformen. Eine gewisse Inadäquatheit ist ebenso häufig wie Störungen der Stimmung, wie Reizbarkeit, plötzliche Wutausbrüche, Furchtsamkeit und Mißtrauen. "Negative" Symptome wie Affektverflachung und Antriebsstörung sind oft vorhanden, beherrschen das klinische Bild jedoch nicht.

Der Verlauf der paranoiden Schizophrenie kann episodisch mit teilweiser oder vollständiger Remission oder chronisch sein. Bei chronischen Fällen bestehen die floriden Symptome über Jahre. Es ist dann schwierig, einzelne Episoden abzugrenzen. Der Beginn liegt im allgemeinen später als bei der hebephrenen und katatonen Form.

Diagnostische Leitlinien

Die allgemeinen diagnostischen Kriterien für Schizophrenie (siehe Einleitung zu F20) müssen erfüllt sein. Zusätzlich müssen Halluzinationen und/oder Wahn im Vordergrund stehen; Störungen des Affekts, des Antriebs und der Sprache sowie katatone Symptome bleiben eher im Hintergrund. Meist treten die Halluzinationen wie unter 2. und 3. oben beschrieben auf. Der Wahn kann sich in fast jeder Weise zeigen; Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, sowie verschiedenste Verfolgungsgedanken sind jedoch am charakteristischsten.

Dazugehörige Begriffe:

paraphrene Schizophrenie

Paraphrenie

Differentialdiagnose:

Es ist wichtig, epileptische und drogeninduzierte Psychosen auszuschließen und daran zu denken, daß ein Verfolgungswahn bei Personen aus bestimmten Ländern oder Kulturen diagnostisch wenig spezifisch sein kann.

Ausschluß:

Involutionsparanoia (F22.8)

Paranoia (F22.0)


F20.1 hebephrene Schizophrenie


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Bei dieser Form der Schizophrenie stehen die affektiven Veränderungen im Vordergrund. Wahnvorstellungen und Halluzinationen sind flüchtig und bruchstückhaft, das Verhalten verantwortungslos und unvorhersehbar und Manierismen häufig. Die Stimmung ist flach und unpassend, oft begleitet von Kichern oder selbstzufriedenem, selbstversunkenen Lächeln oder von einer hochfahrenden Umgangsweise, von Grimassieren, Manierismen, Faxen, hypochondrischen Klagen und immer wiederholten Äußerungen (Reiterationen). Das Denken ist ungeordnet, die Sprache weitschweifig und zerfahren. Der Kranke neigt dazu, sich zu isolieren; sein Verhalten erscheint ziellos und ohne Empfindung. Diese Schizophrenieform beginnt meist zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr und hat wegen der schnellen Entwicklung der Minussymptomatik, besonders von Affektverflachung und Antriebsverlust, eine eher schlechte Prognose.

Affektive Störungen und Antriebsstörungen sowie Denkstörungen stehen hier im Vordergrund. Halluzinationen und Wahnvorstellungen können vorhanden sein, sollen aber nicht hervorstechen. Antrieb und Zielstrebigkeit gehen verloren, frühere Zielsetzungen werden verlassen, so daß Ziel- und Planlosigkeit zum charakteristischen Verhalten des Patienten werden. Eine oberflächliche und manieristische Vorliebe für Religion, Philosophie und andere abstrakte Themen kann es dem Zuhörer zusätzlich erschweren, dem Gedankengang zu folgen.

Diagnostische Leitlinien

Die allgemeinen diagnostischen Kriterien der Schizophrenie (siehe Einleitung zu F20) müssen erfüllt sein. Die Diagnose einer Hebephrenie sollte in der Regel erstmalig nur bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen gestellt werden. Die prämorbide Persönlichkeit ist meist ziemlich schüchtern und einzelgängerisch. Die Diagnose einer Hebephrenie kann erst nach einer zwei- oder dreimonatigen Beobachtungszeit zuverlässig gestellt werden, wenn die oben beschriebenen charakteristischen Verhaltensformen ausreichend belegt sind.

Dazugehörige Begriffe:

desorganisierte Schizophrenie

Hebephrenie


F20.2 katatone Schizophrenie


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Als wesentliche und beherrschende Merkmale stehen psychomotorische Störungen im Vordergrund, die zwischen Extremen wie Erregung und Stupor oder zwischen Befehlsautomatismus und Negativismus alternieren können. Zwangshaltungen und stellungen können lange Zeit beibehalten werden. Episodenhafte schwere Erregungszustände können ein Charakteristikum dieses Krankheitsbildes sein.

Aus unklaren Gründen kommt die Katatonie in den Industrieländern gegenwärtig selten vor, in anderen Ländern ist sie jedoch nach wie vor häufig. Die katatonen Phänomene können mit einem traumähnlichen (oneiroiden) Zustand mit lebhaften szenischen Halluzinationen einhergehen.

Diagnostische Leitlinien

Die allgemeinen diagnostischen Kriterien für Schizophrenie (siehe Einleitung zu F20) müssen erfüllt sein. Vorübergehende, isolierte katatone Symptome können bei jeder anderen Schizophrenieunterform auftreten. Für die Diagnose einer katatonen Schizophrenie sollen eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen das klinische Bild beherrschen:

  1. Stupor (eindeutige Verminderung der Reaktionen auf die Umgebung sowie Verminderung spontaner Bewegungen und Aktivität) oder Mutismus.

  2. Erregung (anscheinend sinnlose motorische Aktivität, die nicht durch äußere Reize beeinflußt ist).

  3. Haltungsstereotypien (freiwilliges Einnehmen und Beibehalten unsinniger und bizarrer Haltungen).

  4. Negativismus (anscheinend unmotivierter Widerstand gegenüber allen Aufforderungen oder Versuchen, bewegt zu werden; oder stattdessen Bewegung in die entgegengesetzte Richtung).

  5. Rigidität (Beibehaltung einer starren Haltung bei Versuchen, bewegt zu werden).

  6. Flexibilität cerea bzw. wächserne Biegsamkeit (Verharren der Glieder oder des Körpers in Haltungen, die von außen auferlegt sind).

  7. Andere Symptome wie Befehlsautomatismus (automatische Befolgung von Anweisungen) und verbale Perseveration.

Bei nicht kommunikationsfähigen Personen mit katatonen Verhaltensweisen hat die Schizophreniediagnose so lange vorläufig zu bleiben, bis ausreichende Belege für das Vorhandensein anderer Symptome vorliegen. Wichtig zu bedenken ist, daß katatone Symptome allein die Schizophreniediagnose nicht rechtfertigen können. Sie können durch Gehirnerkrankungen, Stoffwechselstörungen oder Alkohol und Drogen hervorgerufen werden und auch bei affektiven Störungen auftreten.

Dazugehörige Begriffe:

katatoner Stupor

schizophrene Flexibilitas cerea

schizophrene Katalepsie

schizophrene Katatonie


F20.3 undifferenzierte Schizophrenie


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Zustandsbilder, welche die allgemeinen diagnostischen Kriterien der Schizophrenie (siehe Einleitung zu F20) erfüllen, ohne einer der beschriebenen Unterformen (F20.0 - F20.2) zu entsprechen, oder solche, die Merkmale von mehr als einer Unterform aufweisen, ohne eindeutiges Überwiegen bestimmter diagnostischer Charakteristika. Diese Kategorie ist nur für psychotische Zustandsbilder zu verwenden (d.h. schizophrenes Residuum, F20.5, und postschizophrene Depression, F20.4, sind ausgeschlossen), und auch erst nach dem Versuch, das Erscheinungsbild einer der drei bereits beschriebenen Unterformen zuzuordnen.

Diagnostische Leitlinien

Diese Kategorie ist für Patienten zu reservieren, die

1.      die allgemeinen Kriterien für Schizophrenie erfüllen, aber

2.      entweder nicht ausreichend Symptome aufweisen, um die Kriterien für eine der Schizophrenieformen (F20.0, F20.1, F20.2, F20.4, F20.5) zu erfüllen oder die so viele Symptome zeigen, daß die Kriterien für mehr als eine paranoide, hebephrene oder katatone Unterform erfüllt werden.

Dazugehörige Begriffe:

atypische Schizophrenie


F20.4 postschizophrene Depression


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Eine unter Umständen länger anhaltende depressive Episode, die im Anschluß an eine schizophrene Erkrankung auftritt. Einige schizophrene Symptome müssen noch vorhanden sein, beherrschen aber nicht mehr das klinische Bild. Diese anhaltenden schizophrenen Symptome können "positiv" oder "negativ" sein, die letztgenannten sind häufiger. Es ist unerheblich für die Diagnose, inwieweit die depressiven Symptome durch das Verschwinden der vorher bestehenden psychotischen Symptome nur aufgedeckt wurden, ohne daß es sich um eine neue Entwicklung handelt, ferner inwieweit der Zustand wesentlicher Teil der Schizophrenie und nicht etwa nur eine psychische Reaktion auf die Erkrankung ist. Die Symptome sind selten schwer und umfassend genug, um eine schwere depressive Episode (F32.2 und F32.3) diagnostizieren zu können. Oft schwierig zu entscheiden ist es, welche Symptome zur Depression gehören, welche auf die neuroleptische Medikation zurückgehen oder welche auf der Antriebsminderung und der Affektverflachung der schizophrenen Erkrankung selbst beruhen. Diese depressive Störung ist mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden.

Diagnostische Leitlinien

Die Diagnose kann nur gestellt werden, wenn

  1. der Patient innerhalb der letzten 12 Monate unter einer Schizophrenie mit den entsprechenden allgemeinen Kriterien gelitten hat (siehe Einleitung zu F20).

  2. einige schizophrene Symptome noch vorhanden sind.

  3. die depressiven Symptome quälend im Vordergrund stehen, die Kriterien für eine depressive Episode erfüllen (F32.-) und seit mindestens zwei Wochen vorhanden sind.

Wenn der Patient keine schizophrenen Symptome mehr aufweist, ist eine depressive Episode zu diagnostizieren (F32.-). Wenn floride schizophrene Symptome noch im Vordergrund stehen, soll die entsprechende schizophrene Unterform (F20.0, F20.1, F20.2, oder F20.3) diagnostiziert werden.


F20.5 schizophrenes Residuum


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Ein chronisches Stadium im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung, mit einer eindeutigen Verschlechterung von einem frühen Stadium (mit einer oder mehreren Episoden mit psychotischen Symptomen, welche die allgemeinen Kriterien für Schizophrenie erfüllen) zu einem späteren Stadium, das durch langandauernde, jedoch nicht notwendigerweise irreversible "negative" Symptome charakterisiert ist.

Diagnostische Leitlinien

Für eine zuverlässige Diagnose müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  1. Auffallendes Vorhandensein von "negativen" schizophrenen Symptomen wie psychomotorischer Verlangsamung, verminderter Aktivität, Affektverflachung, Passivität und Initiativemangel, Verarmung hinsichtlich Menge und Inhalt des Gesprochenen, geringe nonverbale Kommunikation durch Gesichtsausdruck, Blickkontakt, Modulation der Stimme und Körperhaltung; Vernachlässigung der Körperpflege und sozialer Leistungsfähigkeit.

  2. Früheres Vorhandensein von wenigstens einer eindeutigen psychotischen Episode, welche die allgemeinen Kriterien für Schizophrenie erfüllt.

  3. Ein Zeitraum von wenigstens einem Jahr, während dessen die Intensität und Häufigkeit von floriden Symptomen wie Wahn und Halluzinationen gering oder wesentlich vermindert waren und das "negative" schizophrene Syndrom vorlag.

  4. Keine Demenz oder andere organische Hirnerkrankung oder -störung, keine chronische Depression oder Hospitalismus, welche die "negativen" Symptome erklären könnten.

Wenn über die Anamnese des Patienten keine ausreichenden Informationen zu erhalten sind und darum das frühere Vorhandensein von Kriterien für die Diagnose einer Schizophrenie nicht gesichert werden kann, muß die Diagnose eines schizophrenen Residuums vorläufig bleiben.

Dazugehörige Begriffe:

chronische undifferenzierte Schizophrenie

Restzustand

schizophrener Residualzustand


F20.6 Schizophrenia simplex


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Ein seltenes Zustandsbild mit schleichender Progredienz von merkwürdigem Verhalten, der Unmöglichkeit, soziale Anforderungen zu erfüllen und mit Verschlechterung der allgemeinen Leistungsfähigkeit. Wahnvorstellungen und Halluzinationen treten nicht in Erscheinung. Die Störung ist weniger offensichtlich psychotisch als die hebephrene, paranoide und katatone Unterform der Schizophrenie. Die charakteristischen "negativen" Merkmale des schizophrenen Residuums wie Affektverflachung, Antriebsminderung usw., entwickeln sich ohne vorhergehende floride psychotische Symptome. Auf einen weiteren sozialen Abstieg kann Nichtseßhaftigkeit folgen, und der Betreffende wird selbstversunken, untätig und ziellos.

Diagnostische Leitlinien

Eine Schizophrenia simplex ist nur sehr schwer sicher zu diagnostizieren, weil die Diagnose von der langsamen Entwicklung charakteristischer "negativer" Symptome des schizophrenen Residuums abhängt (F20.5) ohne Anamnese von Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder anderen Symptomen einer früheren psychotischen Episode und mit deutlichen Veränderungen im persönlichen Verhalten, wie z.B. deutlicher Interessenverlust, Müßiggang und sozialer Rückzug, über mindestens ein Jahr. Die Stellung dieser Diagnose wird nicht empfohlen !

Dazugehörige Begriffe:

einfache Schizophrenie


F21 schizotype Störung


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Eine Störung mit exzentrischem Verhalten und Anomalien des Denkens und der Stimmung, die schizophren wirken, obwohl nie eindeutige und charakteristische schizophrene Symptome aufgetreten sind. Es gibt kein beherrschendes oder typisches Merkmal; jedes der folgenden kann vorhanden sein:

1.      Inadäquater oder eingeschränkter Affekt (der Patient erscheint kalt und unnahbar).

2.      Seltsames, exzentrisches oder eigentümliches Verhalten und Erscheinung.

3.      Wenig soziale Bezüge und Tendenz zu sozialem Rückzug.

4.      Seltsame Glaubensinhalte und magisches Denken, die das Verhalten beeinflussen und im Widerspruch zu (sub)kulturellen Normen stehen.

5.      Mißtrauen oder paranoide Ideen.

6.      Zwanghaftes Grübeln ohne inneren Widerstand, oft mit dysmorphophoben, sexuellen oder aggressiven Inhalten.

7.      Ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse mit Körpergefühlsstörungen oder anderen Illusionen, Depersonalisations- oder Derealisationserleben.

8.      Denken und Sprache vage, umständlich, metaphorisch, gekünstelt, stereotyp oder anders seltsam, ohne ausgeprägte Zerfahrenheit.

9.      Gelegentliche vorübergehende quasipsychotische Episoden mit intensiven Illusionen, akustischen oder anderen Halluzinationen und wahnähnlichen Ideen; diese Episoden treten im allgemeinen ohne äußere Veranlassung auf.

Die Störung zeigt einen chronischen Verlauf mit unterschiedlicher Intensität. Gelegentlich entwickelt sich eine eindeutige Schizophrenie. Es läßt sich kein eindeutiger Beginn feststellen; Entwicklung und Verlauf entsprechen gewöhnlich einer Persönlichkeitsstörung. Sie findet sich häufiger bei Personen mit manifest schizophren Erkrankten in der Familie. Man nimmt an, daß sie einen Teil des genetischen "Spektrums" der Schizophrenie verkörpert.

Diagnostische Leitlinien

Diese diagnostische Kategorie wird nicht zum allgemeinen Gebrauch empfohlen, da keine klaren Grenzen zur Schizophrenia simplex oder zu den schizoiden oder paranoiden Persönlichkeitsstörungen vorhanden sind. Wenn die Bezeichnung verwendet wird, sollen drei oder vier der oben aufgelisteten typischen Merkmale mindestens zwei Jahre lang, ständig oder episodisch vorhanden gewesen sein. Der Betroffene darf früher niemals die Kriterien für eine Schizophrenie erfüllt haben. Eine Schizophrenie bei einem Verwandten ersten Grades gibt der Diagnose zusätzliches Gewicht, ist aber nicht Voraussetzung.

Dazugehörige Begriffe:

Borderline Schizophrenie

Grenzschizophrenie

Grenzpsychose

latente schizophrene Reaktion

latente Schizophrenie

präpsychotische Schizophrenie

prodromale Schizophrenie

pseudoneurotische Schizophrenie

pseudopsychopathische Schizophrenie

schizotype (schizotypische) Persönlichkeitsstörung

Schizotypie

Ausschluß:

Asperger Syndrom (F84.5)

schizoide Persönlichkeitsstörung (F60.1)


F22 anhaltende wahnhafte Störungen


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Diese Gruppe enthält eine Reihe von Störungen, bei denen ein langandauernder Wahn das einzige oder das auffälligste klinische Charakteristikum ist, und die nicht als organisch, schizophren oder affektiv klassifiziert werden können. Sie bilden wahrscheinlich keine Einheit und stehen auch mit der Schizophrenie nicht in sicherem Zusammenhang. Die Bedeutung von genetischen Faktoren, Persönlichkeitsmerkmalen und Lebensumständen bei ihrer Entstehung ist unsicher und wahrscheinlich unterschiedlich.


F22.0 wahnhafte Störung


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Diese Gruppe von Störungen ist charakterisiert durch die Entwicklung einer einzelnen Wahnidee oder mehrerer aufeinander bezogener Wahninhalte, die im allgemeinen lange andauern und manchmal lebenslang bestehen. Die Wahninhalte sind sehr variabel. Oft handelt es sich um einen Verfolgungswahn, einen hypochondrischen Wahn, einen Größenwahn, einen Querulantenwahn, einen Eifersuchtswahn oder einen Wahn, daß der Körper der betreffenden Person deformiert sei, daß andere denken, er oder sie rieche schlecht oder sei homosexuell. Weitere psychopathologische Symptome finden sich meistens nicht, depressive Symptome können aber zeitweilig auftreten, und in einigen Fällen können sich olfaktorische und taktile Halluzinationen entwickeln. Eindeutige und anhaltende akustische Halluzinationen (Stimmen), schizophrene Symptome wie Kontrollwahn oder Affektverflachung oder eine eindeutige Gehirnerkrankung sind nicht mit der Diagnose vereinbar. Gelegentliche oder vorübergehende akustische Halluzinationen schließen die Diagnose, besonders bei älteren Patienten, jedoch nicht aus, solange diese Symptome nicht typisch schizophren sind und nur einen kleinen Teil des klinischen Bildes ausmachen. Die Störung beginnt in der Regel im mittleren Alter, aber manchmal, besonders bei der Überzeugung, unter einem mißgestalteten Körper zu leiden, liegt der Beginn bereits im frühen Erwachsenenleben. Der Inhalt des Wahns oder der Zeitpunkt seines Auftretens können häufig mit der Lebenssituation des Betreffenden in Beziehung gesetzt werden, wie z.B. ein Verfolgungswahn bei Mitgliedern von Minderheiten. Abgesehen von Handlungen und Einstellungen, die sich direkt auf den Wahn oder das Wahnsystem beziehen, sind Affekt, Sprache und Verhalten normal.

Diagnostische Leitlinien

Wahnvorstellungen sind das auffälligste oder einzige klinische Charakteristikum. Sie müssen mindestens seit 3 Monaten bestehen, eindeutig auf die Person bezogen und nicht subkulturell bedingt sein. Depressive Symptome oder sogar eine vollentwickelte depressive Episode (F32) können zwischenzeitlich auftreten, vorausgesetzt, daß der Wahn auch dann weiterbesteht, wenn keine affektiven Störungen vorhanden sind. Nicht vereinbar mit der Diagnose sind eine zerebrale Erkrankung, ständiges Stimmenhören und schizophrene Symptome in der Vorgeschichte (Kontrollwahn, Gedankenausbreitung etc.).

Dazugehörige Begriffe:

Paranoia

paranoide Psychose

paranoides Zustandsbild

sensitiver Beziehungswahn

späte Paraphrenie

Ausschluß:

paranoide Persönlichkeitsstörung (F60.0)

paranoide Reaktion (F23.3)

paranoide Schizophrenie (F20.0)

psychogene paranoide Psychose (F23.3)


F22.8 sonstige anhaltende wahnhafte Störungen


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Hierbei handelt es sich um eine Restkategorie für anhaltende wahnhafte Störungen, die nicht die Kriterien für die wahnhafte Störung (F22.0) erfüllen. Hier sind Störungen einzugruppieren, bei denen Wahn oder Wahnsysteme von anhaltenden Stimmen oder von schizophrenen Symptomen begleitet werden, die aber nicht ausreichen, um eine Schizophrenie zu diagnostizieren (F20.-). Wahnhafte Störungen, die weniger als drei Monate gedauert haben, sind jedoch, wenigstens zeitweilig, unter F23.- zu klassifizieren.

Dazugehörige Begriffe:

paranoides Zustandsbild im Involutionsalter

Querulantenwahn (Paranoia querulans)

wahnhafte Dysmorphophobie


F23 akute vorübergehende psychotische Störungen


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Systematisches klinisches Wissen zur Klassifikation der akuten psychotischen Störungen fehlt bisher; die nur unzureichenden Kenntnisse und klinischen Erfahrungen erlauben keine Darstellung eindeutig definierter und untereinander abgrenzbarer Konzepte. Bei Fehlen eines bewährten und geprüften multiaxialen Systems wird hier zur Vermeidung von diagnostischer Verwirrung eine Rangfolge angegeben, welche Priorität den ausgewählten Schlüsselsymptomen der Störung zukommt.

Die hier verwendete Rangfolge ist:

  1. akuter Beginn innerhalb von 2 Wochen als entscheidendes Kennzeichen der gesamten Gruppe von Störungen.

  2. Das Vorhandensein typischer Syndrome.

  3. Das Vorliegen einer akuten Belastung.

Die Klassifikation ist dennoch so gestaltet, daß auch diejenigen, die nicht mit dieser Rangfolge von Prioritäten einverstanden sind, akute psychotische Störungen mit jedem dieser Kennzeichen versehen können. Es wird außerdem empfohlen, für alle Störungen dieses Abschnittes, wenn irgend möglich, eine weitere Unterteilung, bezogen auf den Beginn, zu verwenden.

Akuter Beginn wird definiert als Wechsel von einem Zustand ohne psychotische Symptome in einen eindeutig abnormen psychotischen Zustand innerhalb von 2 Wochen oder weniger. Ein akuter Beginn scheint mit einer guten Prognose verbunden zu sei. Möglicherweise ist die Prognose um so besser, je abrupter der Beginn ist. Aus diesem Grunde sollte ein abrupter Beginn (innerhalb von 48 Stunden) angegeben werden.

Die ausgewählten typischen Syndrome sind erstens das schnell wechselnde und unterschiedliche Erscheinungsbild, hier "polymorph" genannt, das in mehreren Ländern als charakteristisch für akute psychotische Zustandsbilder bezeichnet wurde und zweitens das Vorhandensein typischer schizophrener Symptome.

Die Verbindung mit akuter Belastung kann, wenn gewünscht, mit der fünften Stelle angegeben werden, mit Rücksicht auf die traditionelle Beziehung zur akuten Psychose. Die Erfahrungen lehren allerdings, daß ein beträchtlicher Anteil akuter psychotischer Störungen ohne eine vorangehende äußere Belastung entsteht; deshalb kann sowohl das Vorhandensein als auch das Fehlen einer Belastung gekennzeichnet werden. Eine Verbindung mit akuter Belastung ist dann anzunehmen, wenn die ersten psychotischen Symptome innerhalb von etwa zwei Wochen nach einem oder mehreren Ereignissen auftreten, die für die meisten Personen des betreffenden Kulturkreises unter ähnlichen Umständen belastend wären. Typische Ereignisse sind Trauerfälle, unerwarteter Partnerverlust, überraschender Verlust des Arbeitsplatzes, Heirat oder psychische Traumen durch Kriegshandlungen, Terrorismus und Folter. Langanhaltende Schwierigkeiten oder Probleme sind in diesem Zusammenhang nicht als Belastungsquelle zu betrachten.

Eine vollständige Besserung erfolgt in der Regel nach zwei oder drei Monaten, oft bereits nach wenigen Wochen oder nur Tagen. Nur wenige Patienten mit diesen Störungen entwickeln anhaltende und behindernde Beschwerdebilder. Der gegenwärtige Kenntnisstand erlaubt leider keine frühe Prognosestellung für den kleinen Teil von Patienten ohne rasche Besserung.

Diese klinischen diagnostischen Leitlinien sind für Kliniker gedacht, die innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen nach Krankheitsbeginn die Patienten beurteilen, eine Diagnose stellen und behandeln müssen, ohne zu wissen, wie lange die Störung dauern wird. Eine Reihe von Gedächtnishilfen für die Zeitkriterien und Diagnosenänderungen von einer Störung zur anderen, dienen als Hinweis auf die Notwendigkeit, die Diagnose dem aktuellen Stand anzupassen.

Die Nomenklatur dieser akuten Störungen ist ebenso unsicher wie ihre nosologische Stellung, es wird jedoch versucht, einfache und vertraute Termini zu verwenden. "Psychotische Störung" wird als geeigneter Begriff für alle Unterformen dieser Gruppe verwendet ("psychotisch" ist in der allgemeinen Einführung definiert) mit zusätzlich kennzeichnenden Beschreibungen der Charakteristika der einzelnen Erscheinungsbilder, in der Rangfolge, wie oben ausgeführt.

Diagnostische Leitlinien

Keine Störung dieser Gruppe entspricht den Kriterien für eine manische (F30.-) oder depressive Episode (F32.-), obwohl wechselnde Affektivität und einzelne affektive Symptome zeitweilig im Vordergrund stehen können.

Diese Störungen sind auch durch das Fehlen einer körperlichen Ursache wie Schädelhirntrauma, Delir oder Demenz definiert. Ratlosigkeit, Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit sind im Gespräch oft zu beobachten. Wenn diese Symptome aber so betont oder so anhaltend auftreten, daß ein Delir oder eine Demenz organischer Ursache zu vermuten ist, soll die definitive Diagnose bis zum Vorliegen eindeutiger Untersuchungsergebnisse oder Beobachtungen aufgeschoben werden. Ebenso sind diese Störungen nicht bei eindeutiger Drogen- oder Alkoholintoxikation zu diagnostizieren. Dagegen schließt ein kürzlich erfolgter geringer Anstieg des Konsums von Alkohol oder Marihuana ohne Hinweis auf eine schwere Intoxikation oder Desorientiertheit die Diagnose einer dieser akuten psychotischen Störungen nicht aus.

Bezüglich der Zeitkriterien von 48 Stunden und zwei Wochen ist wichtig, daß diese sich nicht auf den Zeitraum des größten Schweregrades und der ausgeprägtesten Symptomatik beziehen, sondern auf die Zeitpunkte, an denen die psychotischen Symptome deutlich werden und das tägliche Leben und die Arbeit zumindest erschweren oder gar unterbrechen. Der Krankheitsgipfel mag in beiden Fällen später erreicht werden; die Symptome und Störungen sollen zu den angegebenen Zeitpunkten jedoch vorhanden sein und die betroffene Person in Kontakt mit einer helfenden Institution oder mit einem Arzt gebracht haben. Prodromi mit Angst, Depression, sozialem Rückzug oder leicht abweichendem Verhalten sollten nicht in die angegebenen Zeiträume eingeschlossen werden.

Die fünfte Stelle kann verwendet werden, um anzugeben, ob die akute psychotische Störung mit akuter Belastung verbunden ist oder nicht:

F23.x0 ohne akute Belastung

F23.x1 mit akuter Belastung


F24 induzierte wahnhafte Störung


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Es handelt sich um eine seltene wahnhafte Störung, die von zwei oder gelegentlich von mehr Personen mit engen emotionalen Bindungen geteilt wird. Nur eine leidet unter einer echten psychotischen Störung; die Wahnvorstellungen sind bei dem (den) anderen induziert und verschwinden bei Trennung der Personen meist. Die psychotische Erkrankung der dominierenden Person ist im allgemeinen eine Schizophrenie, aber dies ist nicht notwendigerweise oder immer so. Die Wahnphänomene - Verfolgungs- oder Größenwahn -sind sowohl bei dem dominierenden Partner als auch bei der induzierten Person in der Regel chronisch.Wahnhafte Überzeugungen werden auf diese Weise nur unter ungewöhnlichen Umständen weitergegeben. Fast stets leben die betroffenen Personen in einer ungewöhnlich engen Beziehung und sind durch Sprache, Kultur oder die geographische Situation von anderen Menschen isoliert. Die Person, bei der die Wahnvorstellungen induziert werden, nimmt gegenüber der Person mit der Psychose meist eine abhängige oder unterwürfige Position ein.

Diagnostische Leitlinien

Die Diagnose einer induzierten wahnhaften Störung sollte nur gestellt werden, wenn:

  1. Zwei oder mehr Menschen denselben Wahn oder dasselbe Wahnsystem teilen, und sich in dieser Überzeugung bestärken.

  2. Sie eine außergewöhnlich enge Beziehung der beschriebenen Art verbindet.

  3. Durch einen zeitlichen oder sonstigen Zusammenhang belegt ist, daß der Wahn bei dem passiven Partner durch Kontakt mit dem aktiven induziert wurde.

Induzierte Halluzinationen sind ungewöhnlich, sprechen aber nicht gegen die Diagnose. Wenn jedoch Grund für die Annahme besteht, daß zwei zusammenlebende Personen unabhängig voneinander psychotische Störungen aufweisen, ist keiner von beiden hier einzuordnen, auch dann nicht, wenn sie einige ihrer Wahnüberzeugungen teilen.

Dazugehörige Begriffe:

Folie à deux

induzierte paranoide oder psychotische Störung

symbiontische Psychose

Ausschluß:

Folie simultanée


F25 schizoaffektive Störungen


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Hierbei handelt es sich um episodische Störungen, bei denen sowohl affektive als auch schizophrene Symptome in derselben Krankheitsphase auftreten, meistens gleichzeitig oder höchstens durch einige Tage getrennt. Ihre Beziehung zu den typischen affektiven (F30-F39) und schizophrenen (F20 - F24) Störungen ist unsicher. Sie werden hier gesondert aufgeführt, weil sie zu häufig sind, um unberücksichtigt zu bleiben. Wenn affektive Symptome eine vorher bestehende schizophrene Krankheit überlagern oder als deren Teil anzusehen sind oder mit anderen anhaltenden Wahnkrankheiten gemeinsam auftreten oder alternieren, sind diese Krankheitsbilder unter den entsprechenden Kategorien bei F20-F29 zu klassifizieren. Parathyme Wahnideen oder Halluzinationen bei affektiven Störungen (F30.2, F31.2, F31.5, F32.3 oder F33.3) rechtfertigen allein nicht die Diagnose einer schizoaffektiven Störung.

Patienten, die unter rezidivierenden schizoaffektiven Episoden leiden, besonders solche, deren Symptome eher manisch als depressiv sind, zeigen gewöhnlich eine vollständige Remission und entwickeln nur selten ein Residuum.

Diagnostische Leitlinien

Die Diagnose schizoaffektive Störung sollte nur dann gestellt werden, wenn sowohl eindeutig schizophrene als auch eindeutig affektive Symptome gleichzeitig oder nur durch wenige Tage getrennt während derselben Krankheitsepisode vorhanden sind; als Konsequenz hieraus erfüllt die Krankheitsepisode weder die Kriterien für eine Schizophrenie noch für eine depressive oder manische Episode. Die Bezeichnung sollte nicht für Patienten verwendet werden, die schizophrene und affektive Symptome nur in verschiedenen Episoden der Erkrankung aufweisen. Es ist beispielsweise häufig, daß Schizophrene depressive Symptome als Nachwirkungen einer psychotischen Episode (siehe postschizophrene Depression, F20.4) entwickeln.

Einige Patienten haben wiederholte schizoaffektive Episoden, entweder mehr manisch oder mehr depressiv oder eine Mischung aus beiden. Andere haben eine oder zwei schizoaffektive Episoden zwischen typisch manischen oder depressiven Episoden; im ersten Fall ist schizoaffektive Störung die zutreffende Diagnose. Im zweiten Fall stellt das Auftreten einer gelegentlichen schizoaffektiven Episode die Diagnose einer bipolaren affektiven Störung oder einer rezidivierenden depressiven Störung nicht in Frage, wenn das klinische Bild im übrigen typisch ist.


F25.0 schizoaffektive Störung, gegenwärtig manisch


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Es handelt sich um eine Störung, bei der sowohl schizophrene als auch manische Symptome in derselben Krankheitsepisode auftreten. Die affektive Störung zeigt sich in Form einer gehobenen Stimmung, begleitet von vermehrtem Selbstbewußtsein und Größenideen. Gelegentlich stehen aber auch Erregung und Gereiztheit mit aggressivem Verhalten und Verfolgungsideen im Vordergrund. In beiden Fällen finden sich Antriebssteigerung, Überaktivität, Konzentrationsstörungen und Distanzlosigkeit. Beziehungswahn, Größenwahn oder Verfolgungswahn können vorhanden sein, aber für die Diagnose sind andere typischere schizophrene Symptome erforderlich. Die betreffende Person kann behaupten, daß sich beispielsweise ihre Gedanken ausbreiten oder gestört werden, daß fremde Kräfte versuchen, sie zu kontrollieren, oder sie kann über Stimmen verschiedener Art oder über bizarre Wahnideen berichten, die nicht nur als Größen- oder Verfolgungswahn anzusehen sind. Oft ist nur durch sorgfältige Exploration festzustellen, daß der Betreffende diese krankhaften Phänomene tatsächlich erlebt und nicht nur scherzt oder in bildhaften Vergleichen redet. Schizomanische Erkrankungen sind meistens floride Psychosen mit akutem Beginn. Das Verhalten ist zwar oft stark gestört, aber es kommt im allgemeinen innerhalb weniger Wochen zu vollständiger Rückbildung.

Diagnostische Leitlinien

Im Vordergrund stehen die gehobene Stimmung oder eine weniger deutlich gehobene Stimmung mit erhöhter Reizbarkeit oder Erregung. Während der betreffenden Episode sollten wenigstens ein, besser noch zwei typische schizophrene Symptome eindeutig vorhanden sein (siehe Schizophrenie F20.-, diagnostische Leitlinien 1 bis 4) eindeutig vorhanden sein.

Diese Kategorie soll für eine einzelne schizomanische Episode verwendet werden oder für eine rezidivierende Störung, bei der die Mehrzahl der Episoden schizomanisch ist.

Dazugehörige Begriffe:

schizoaffektive Psychose, manischer Typ

schizophreniforme Psychose, manischer Typ


F25.1 schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Es handelt sich um eine Störung, bei der sowohl schizophrene als auch depressive Symptome während derselben Krankheitsepisode auftreten. Die depressive Stimmung wird gewöhnlich von mehreren charakteristischen depressiven Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten begleitet wie Verlangsamung, Schlaflosigkeit, Antriebs , Appetit- oder Gewichtsverlust, Verringerung der üblichen Interessen, Konzentrationsstörung, Schuldgefühl, Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Suizidideen. Gleichzeitig oder während derselben Episode müssen andere typische schizophrene Symptome vorhanden sein; die betreffende Person kann beispielsweise behaupten, daß ihre Gedanken sich ausbreiten oder gestört werden, oder daß fremde Kräfte versuchen, sie zu kontrollieren. Sie kann davon überzeugt sein, daß sie ausspioniert wird, oder daß ein Komplott gegen sie im Gange ist und daß dieses durch ihr eigenes Verhalten nicht gerechtfertigt ist. Sie kann Stimmen hören, die sie nicht nur verächtlich machen oder verdammen, sondern auch davon reden, sie zu töten, oder ihr Verhalten unter sich diskutieren. Schizodepressive Episoden sind gewöhnlich weniger floride und alarmierend als schizomanische Episoden, aber sie neigen zu längerer Dauer und die Prognose ist weniger günstig. Obwohl sich in der Mehrzahl der Fälle die Störung vollständig zurückbildet, entwickeln einige Kranke schließlich ein schizophrenes Residuum.

Diagnostische Leitlinien

Es muß eine eindeutige Depression vorhanden sein mit wenigstens zwei charakteristischen depressiven Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten wie unter depressiver Episode (F32.-) beschrieben. Innerhalb derselben Episode sollen wenigstens ein oder besser noch zwei typisch schizophrene Symptome eindeutig vorliegen (siehe Schizophrenie F20.-, diagnostische Leitlinien 1 bis 4).

Diese Kategorie soll sowohl für eine einzelne schizodepressive Episode verwendet werden, als auch für eine rezidivierende Störung, bei der die Mehrzahl der Episoden schizodepressiv ist.

Dazugehörige Begriffe:

schizoaffektive Psychose, depressiver Typ

schizophreniforme Psychose, depressiver Typ


F25.2 gemischte schizoaffektive Störung


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Hier sind Störungen zu klassifizieren, bei denen Symptome einer Schizophrenie (F20.-) mit solchen einer gemischten bipolaren affektiven Störung (F31.6) gemeinsam bestehen.

Dazugehörige Begriffe:

gemischte schizophrene und affektive Psychose

zyklische Schizophrenie


Organische Psychosen


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Die organischen Psychosen können ebenso wie die schizophrenen Psychosen (siehe unter Schizophrenie)  mit inhaltlichen Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen und affektiven Veränderungen  einhergehen . Die Klarheit des Bewußtseins und die intellektuellen Fähigkeiten können im Gegensatz zu den Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis jedoch beeinträchtigt sein. Allerdings sind die organisch bedingten Psychosen zum Teil  reversibel, bei fortschreitender Hirnschädigung  sind allerdings zunehmende kognitive Defizite  möglich. Organisch bedingte psychotische Störungen  kommen  zum Beispiel  bei chronischen  körperlichen Erkrankungen, Intoxikationen oder auch  aufgrund der Behandlung mit Medikamenten vor.