F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch

psychotrope Substanzen

 

Klinisch-diagnostische Leitlinien

Dieser Abschnitt enthält ein breites Spektrum von Störungen, deren Schweregrad von einer unkomplizierten Intoxikation und schädlichem Gebrauch bis zu eindeutig psychotischen Störungen und Demenz reicht, die aber alle auf dem Gebrauch einer oder mehrerer psychotroper Substanzen (mit oder ohne ärztliche Verordnung) beruhen. Die verursachende Substanz wird durch die zweite bzw. dritte Stelle (d.h. die ersten beiden Stellen nach dem F), die klinischen Erscheinungsbilder werden durch die vierte und fünfte Stelle gekennzeichnet. Zunächst werden alle psychotropen Substanzen aufgelistet. Danach folgen die Kodenummern für die vierte Stelle mit den klinischen Erscheinungsbildern. Diese sollen für jede Substanz einzeln angegeben werden. Allerdings sind nicht alle Kodierungen der vierten Stelle für alle Substanzen sinnvoll anzuwenden.

Diagnostische Leitlinien

Die Identifikation der verwendeten psychotropen Stoffe kann aufgrund eigener Angaben des Patienten, objektiver Analysen von Urinproben, Blutproben usw. oder durch andere Nachweise erfolgen, so z. B. durch den Besitz von Substanzen, aufgrund klinischer Symptome oder durch fremdanamnestische Angaben. Es ist stets zu empfehlen, Bestätigung aus mehreren Quellen zu suchen, um Gewißheit über die betreffenden Substanzen zu erlangen.

Objektive Analysen stellen den besten Beweis für eine aktuelle oder gerade zurückliegende Substanzaufnahme dar; ihre Aussagekraft über einen Substanzkonsum in der Vergangenheit und zum Ausmaß des aktuellen Gebrauchs ist jedoch begrenzt.

Viele Konsumenten nehmen mehrere Substanzen zu sich. Dennoch sollte die Diagnose möglichst nach dem wichtigsten Stoff oder der wichtigsten Stoffgruppe gestellt werden, üblicherweise nach der Substanz oder Substanzklasse, welche die gegenwärtige Störung hervorgerufen hat. In Zweifelsfällen soll der Stoff oder die Stoffgruppe kodiert werden, die am häufigsten mißbraucht wird, besonders in Fällen mit ständigem oder täglichem Gebrauch.

Nur wenn die Substanzaufnahme chaotisch und wahllos verläuft, oder wenn Bestandteile verschiedener Substanzen untrennbar vermischt sind, ist die Kodierung F19.- (Störungen durch multiplen Substanzgebrauch), zu wählen.

Der Mißbrauch von nicht psychotropen Substanzen, wie Laxantien oder Aspirin soll mit F55.- (Mißbrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen) kodiert werden. Dort wird mit der vierten Stelle die betreffende Substanz kodiert.

Störungen durch psychotrope Substanzen (insbesondere ein Delir bei älteren Patienten), sollen dann bei F00-F09 eingeordnet werden, wenn keines der in diesem Abschnitt beschriebenen klinischen Erscheinungsbilder, wie z. B. schädlicher Gebrauch oder Abhängigkeitssyndrom, vorliegt. Wenn ein klinisches Erscheinungsbild dieses Kapitels (F1) von einem Delir überlagert wird, erfolgt die Einordnung unter F1x.3 oder F1x.4.

Das Ausmaß der Alkoholisierung kann mit einer ergänzenden Kodierung aus dem Kapitel XX der ICD-10, Y90 (Nachweis der Alkoholisierung durch den Blutalkoholspiegel) oder Y91 (Nachweis der Alkoholisierung durch den Intoxikationsgrad) verschlüsselt werden.


F1x.0 akute Intoxikation


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Ein vorübergehendes Zustandsbild nach Aufnahme von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen mit Störungen des Bewußtseins, kognitiver Funktionen, der Wahrnehmung, des Affektes, des Verhaltens oder anderer psychophysiologischer Funktionen und Reaktionen.

Diese Diagnose soll nur dann als Hauptdiagnose gestellt werden, wenn zum Zeitpunkt der Intoxikation keine längerdauernden Probleme mit psychotropen Substanzen bestehen. Sonst haben die Diagnosen schädlicher Gebrauch (F1x.1), Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) oder psychotische Störung (F1x.5) Vorrang.

Diagnostische Leitlinien

Zwischen der Schwere der Intoxikation und der aufgenommenen Dosis besteht normalerweise ein enger Zusammenhang (siehe Kapitel XX der ICD-10). Ausnahmen können jedoch bei Personen mit bestimmten organischen Erkrankungen wie etwa Nieren- oder Leberinsuffizienz vorkommen, bei denen schon kleine Dosen unverhältnismäßig schwere Vergiftungserscheinungen hervorrufen können. Die Möglichkeit einer Enthemmung in gewissen sozialen Situationen, z. B. auf Parties oder beim Karneval, sollten ebenfalls bedacht werden. Die akute Intoxikation ist ein vorübergehender Zustand. Das Ausmaß der Vergiftung wird nach und nach geringer und die Symptome verschwinden ohne erneute Substanzzufuhr nach einiger Zeit vollständig. In der Regel erfolgt eine vollständige Erholung, falls es nicht zur Gewebeschädigung oder zu anderen Komplikationen gekommen ist.

Die Vergiftungssymptome müssen nicht immer in der typischen Substanzwirkung bestehen: z.B. können dämpfende Substanzen Agitiertheit und Überaktivität hervorrufen und Stimulantien zu sozialem Rückzug und zu introvertiertem Verhalten führen. Bei Cannabis und Halluzinogenen können die Wirkungen besonders unvorhersehbar sein. Bei vielen Substanzen hängt die unterschiedliche Wirkung auch von der aufgenommenen Menge ab: So entfaltet z. B. Alkohol bei niedriger Dosierung eine anregende Wirkung, bei höherer Dosierung kommt es zu Erregung und Aggressivität und bei sehr hohen Blutspiegeln zu eindeutiger Sedierung.

Dazugehörige Begriffe:

akuter Rausch bei Alkoholismus

"Horrortrip" (Angstreise) bei halluzinogenen Substanzen

nicht näher bezeichneter Rausch (Trunkenheit)

Differentialdiagnose:

Es müssen ein akutes Schädel-Hirn-Trauma und eine Hypoglykämie erwogen werden. Immer muß auch an die Möglichkeit einer Mischintoxikation gedacht werden.

Die folgenden fünfstelligen Kodierungen dienen der Kennzeichnung begleitender Komplikationen:

F1x.00 unkompliziert Symptome unterschiedlichen Schweregrades, meist dosisabhängig, besonders bei hoher Dosierung

F1x.01 mit Verletzung oder sonstiger körperlicher Schädigung

F1x.02 mit sonstigen medizinischen Komplikationen (z.B. Hämatemesis, Aspiration von Erbrochenem)

F1x.03 mit Delir

F1x.04 mit Wahrnehmungsstörungen

F1x.05 mit Koma

F1x.06 mit Krampfanfällen

F1x.07 pathologischer Rausch

Nur auf Alkohol anwendbar. Kurz nach dem Trinken einer Menge, die bei den meisten Menschen keine Intoxikation hervorrufen würde, erfolgt ein plötzlicher Ausbruch von aggressivem, oft gewalttätigen Verhalten, das für den Betroffenen im nüchternen Zustand untypisch ist.


F1x.1 schädlicher Gebrauch


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Ein Konsummuster psychotroper Substanzen, das zu einer Gesundheitsschädigung führt. Diese kann eine körperliche Störung, etwa eine Hepatitis durch Selbstinjektion von Substanzen sein oder eine psychische Störung, z. B. eine depressive Episode nach massivem Alkoholkonsum.

Diagnostische Leitlinien

Die Diagnose erfordert eine tatsächliche Schädigung der psychischen oder physischen Gesundheit des Konsumenten.

Schädliches Konsumverhalten wird häufig von anderen kritisiert und hat auch häufig unterschiedliche negative soziale Folgen. Die Ablehnung des Konsumverhaltens oder einer bestimmten Substanz von anderen Personen oder einer ganzen Gesellschaft, ist kein Beweis für den schädlichen Gebrauch, ebensowenig wie etwaige negative soziale Folgen z.B. Inhaftierung oder Eheprobleme.

Eine akute Intoxikation (siehe F1x.0) oder ein "Kater" (hangover) beweisen allein noch nicht den "Gesundheitsschaden", der für die Diagnose schädlicher Gebrauch erforderlich ist.

Schädlicher Gebrauch ist bei einem Abhängigkeitssyndrom (F1x.2), einer psychotischen Störung (F1x.5) oder bei anderen spezifischen alkohol- oder substanzbedingten Störungen nicht zu diagnostizieren.


F1x.2 Abhängigkeitssyndrom


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Es handelt sich um eine Gruppe körperlicher, Verhaltens- und kognitiver Phänomene, bei denen der Konsum einer Substanz oder einer Substanzklasse für die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher bewertet wurden. Ein entscheidendes Charakteristikum der Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch, psychotrope Substanzen oder Medikamente (ärztlich verordnet oder nicht), Alkohol oder Tabak zu konsumieren.

Es gibt Hinweise darauf, daß die weiteren Merkmale des Abhängigkeitssyndroms bei einem Rückfall nach einer Abstinenzphase schneller auftreten als bei Nichtabhängigen.

Diagnostische Leitlinien

Die sichere Diagnose "Abhängigkeit" sollte nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig vorhanden waren:

1.      Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.

2.      Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums.

3.      Ein körperliches Entzugssyndrom (siehe F1x.3 und F1x.4) bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahe verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.

4.      Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich (eindeutige Beispiele hierfür sind die Tagesdosen von Alkoholikern und Opiatabhängigen, die bei Konsumenten ohne Toleranzentwicklung zu einer schweren Beeinträchtigung oder sogar zum Tode führen würden).

5.      Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.

6.      Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie z. B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken Substanzkonsums oder drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Funktionen. Es sollte dabei festgestellt werden, daß der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im klaren war oder daß zumindest davon auszugehen ist.

Ein eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit psychotropen Substanzen wurde ebenfalls als charakteristisches Merkmal beschrieben (z.B. die Tendenz, alkoholische Getränke werktags in gleicher Weise zu konsumieren, wie an Wochenenden, ungeachtet dem gesellschaftlich vorgegebenen Trinkverhalten).

Als wesentliches Charakteristikum des Abhängigkeitssyndroms gilt ein aktueller Konsum oder ein starker Wunsch nach der psychotropen Substanz. Der innere Zwang, Substanzen zu konsumieren, wird meist dann bewußt, wenn versucht wird, den Konsum zu beenden oder zu kontrollieren. Diese diagnostische Forderung schließt beispielsweise chirurgische Patienten aus, die Opioide zur Schmerzlinderung erhalten haben und die ein Opioidentzugssydrom entwickeln, wenn diese Mittel abgesetzt werden, die aber selbst kein Verlangen nach weiterer Opioideinnahme haben.

Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf einen einzelnen Stoff beziehen (beispielsweise Tabak oder Diazepam), auf eine Gruppe von Substanzen (wie z.B. Opioide) oder auch auf ein weiteres Spektrum unterschiedlicher Substanzen (wie z. B. bei jenen Personen, die eine Art Zwang erleben, regelmäßig jedes nur erreichbare Mittel zu sich zu nehmen und die qualvolle Gefühle, Unruhe oder körperliche Entzugserscheinungen bei Abstinenz entwickeln).

Dazugehörige Begriffe:

(chronischer) Alkoholismus

Dipsomanie

Drogensucht

Die folgenden fünften Stellen dienen der weiteren Unterteilung des Abhängigkeitssyndroms:

F1x.20 gegenwärtig abstinent

F1x.21 gegenwärtig abstinent, aber in beschützender Umgebung (z.B. Krankenhaus, in einer therapeutischen Gemeinschaft, im Gefängnis usw.)

F1x.22 gegenwärtig Teilnahme an einem ärztlich überwachten Abgabe- oder Ersatzdrogenprogramm (kontrollierte Abhängigkeit) (z.B. Methadon, Nikotinkaugummi oder -pflaster)

F1x.23 gegenwärtig abstinent, aber in Behandlung mit aversiven oder hemmenden Medikamenten (z.B. Naloxon oder Disulfiram)

F1x.24 gegenwärtiger Substanzbrauch (aktive Abhängigkeit)

F1x.25 ständiger Substanzgebrauch

F1x.26 episodischer Substanzgebrauch (Dipsomanie)


F1x.3 Entzugssyndrom


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Es handelt sich um einen Symptomkomplex von unterschiedlicher Zusammensetzung und wechselndem Schweregrad, bei absolutem oder relativen Entzug einer Substanz, die wiederholt und zumeist über einen längeren Zeitraum oder in hoher Dosierung konsumiert worden ist. Beginn und Verlauf des Entzugssyndroms sind zeitlich begrenzt und abhängig von der Substanzart und der Dosis, die unmittelbar vor dem Absetzen verwendet worden ist. Das Entzugssyndrom kann durch Krampfanfälle kompliziert werden.

Diagnostische Leitlinien

Das Entzugssyndrom ist einer der Indikatoren des Abhängigkeitssyndroms (siehe F1x.2); daher ist auch diese Diagnose zu erwägen.

Ein Entzugssyndrom soll als Hauptdiagnose dann diagnostiziert werden, wenn es Grund für die gegenwärtige Konsultation ist, und wenn das Erscheinungsbild so schwer ist, daß es eine besondere medizinische Behandlung erfordert.

Die körperlichen Symptome sind je nach verwendeter Substanz unterschiedlich. Häufige Merkmale sind auch psychische Störungen (z. B. Angst, Depression und Schlafstörungen). Typischerweise berichten die Patienten, daß sich die Entzugssymptome durch die erneute Zufuhr der Substanz bessern.Es ist auch daran zu denken, daß Entzugssyndrome durch konditionierte Reize ohne unmittelbar vorhergehende Substanzzufuhr ausgelöst werden können. In solchen Fällen ist ein Entzugssyndrom nur dann zu diagnostizieren, wenn der Schweregrad dies rechtfertigt.

Differentialdiagnose:

Viele Symptome, die im Substanzentzug auftreten, können auch durch andere psychische Störungen hervorgerufen werden, wie z. B. durch Angstzustände und depressive Störungen. Der einfache "Kater" oder ein Tremor aus anderen Gründen dürfen nicht mit den Symptomen eines Entzugssyndroms verwechselt werden.

Die folgenden fünften Stellen dienen der weiteren Unterteilung des Entzugssyndroms:

F1x.30 ohne Komplikationen

F1x.31 mit Krampfanfällen


F1x.4 Entzugssyndrom mit Delir


Klinisch-diagnostische Leitlinien

In diesem Fall wird das Entzugssyndrom (siehe F1x.3) durch ein Delir (siehe Kriterien für F05) kompliziert.

Hier ist das alkoholbedingte Delirium tremens einzuordnen, ein kurzdauernder, aber gelegentlich durchaus lebensbedrohlicher toxischer Verwirrtheitszustand, der von somatischen Störungen begleitet wird. Das Delir ist gewöhnlich Folge eines absoluten oder relativen Entzugs bei stark abhängigen Trinkern mit einer langen Vorgeschichte. Es beginnt meist nach Absetzen des Alkohols. In manchen Fällen tritt es während einer Episode schweren Trinkens auf, auch dann sollte eine Zuordnung in diesem Abschnitt erfolgen.

Die typischen Prodromi sind Schlaflosigkeit, Zittern und Angst. Dem Delir können auch Entzugskrämpfe vorausgehen. Die klassische Symptomtrias besteht in Bewußtseinstrübung und Verwirrtheit, lebhaften Halluzinationen oder Illusionen jeglicher Wahrnehmungsqualität, besonders optischen, und ausgeprägtem Tremor. Auch Wahnvorstellungen, Unruhe, Schlaflosigkeit oder Umkehr des Schlaf Wach Rhythmus und vegetative Übererregbarkeit sind üblicherweise vorhanden.

Ausschluß:

Delir, nicht alkohol- oder substanzbedingt (F05)

Die folgenden fünften Stellen dienen der weiteren Unterteilung des Entzugssyndroms mit Delir:

F1x.40 ohne Krampfanfälle

F1x.41 mit Krampfanfällen


F1x.5 psychotische Störung


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Eine Gruppe von Symptomen, die gewöhnlich während oder unmittelbar nach dem Substanzgebrauch auftritt und durch lebhafte Halluzinationen, typischerweise akustische, oft aber auf mehr als einem Sinnesgebiet, Personenverkennungen, Wahn oder Beziehungsideen (häufig im Sinne einer Verfolgung) gekennzeichnet ist.

Psychomotorische Störungen, wie Erregung oder Stupor, sowie ein abnormer Affekt, der von intensiver Angst bis zur Ekstase reicht, treten auf. Das Sensorium ist meist klar, das Bewußtsein kann jedoch bis zu einem gewissen Grad getrübt sein, wobei jedoch keine ausgeprägte Verwirrtheit auftritt. Die Störung geht typischerweise innerhalb eines Monats zumindest teilweise, innerhalb von sechs Monaten vollständig zurück.

Diagnostische Leitlinien

Ein psychotischer Zustand, der während oder unmittelbar nach der Einnahme einer Substanz (gewöhnlich innerhalb von 48 Stunden) auftritt, sollte hier eingeordnet werden, falls er nicht Ausdruck eines Entzugssyndroms mit Delir (F1x.4) ist oder einer verzögert auftretenden psychotischen Störung. Diese kann mehr als zwei Wochen nach dem letzten Substanzkonsum beginnen, ist jedoch bei F1x.75 einzuordnen.

Durch psychotrope Substanzen induzierte psychotische Störungen können unterschiedliche Symptommuster zeigen. Die Unterschiede sind durch die Art der verwendeten Substanz und durch die Persönlichkeit des Konsumenten bedingt.

Beim Gebrauch von Stimulantien wie Kokain und Amphetaminen sind substanzinduzierte psychotische Zustände im allgemeinen auf die hohe Dosierung oder den längeren Gebrauch des Mittels zurückzuführen.

Die Diagnose eines psychotischen Zustandes sollte nicht allein aufgrund von Wahrnehmungsstörungen und Halluzinationen gestellt werden, wenn Substanzen mit primär halluzinogenen Effekten wie z. B. LSD, Meskalin oder Cannabis in hoher Dosierung konsumiert wurden. In diesen Fällen - ebenso wie bei Verwirrtheitszuständen - muß die Diagnose einer akuten Intoxikation (F1x.0) erwogen werden.

Mit besonderer Sorgfalt ist zu vermeiden, irrtümlich eine schwerere Störung wie z.B. eine Schizophrenie zu diagnostizieren, wenn die diagnostischen Voraussetzungen für eine substanzinduzierte Psychose vorliegen. Viele substanzinduzierte psychotische Störungen dauern nur kurze Zeit, falls die Substanz nicht erneut eingenommen wird, wie z. B. bei Amphetamin- und Kokainpsychosen. In solchen Fällen können Fehldiagnosen unangenehme und teure Folgen für den Patienten und für das Gesundheitswesen haben.

Dazugehörige Begriffe:

Alkoholhalluzinose

alkoholischer Eifersuchtswahn

alkoholische Paranoia

Alkoholpsychose, nicht näher bezeichnet

Differentialdiagnose:

Es ist daran zu denken, daß eine andere psychische Störung durch den Gebrauch psychotroper Substanzen verschlimmert oder ausgelöst werden kann, wie z. B. Schizophrenie (F20.-), affektive Störungen (F30-F39), paranoide oder schizoide Persönlichkeitsstörung (F60.0, F60.1) usw.

In diesen Fällen kann die Diagnose einer substanzinduzierten psychotischen Störung unangemessen sein.

Die folgenden fünften Stellen dienen der weiteren Unterteilung des psychotischen Zustandsbildes:

F1x.50 schizophreniform

F1x.51 vorwiegend wahnhaft

F1x.52 vorwiegend halluzinatorisch (einschließlich Alkoholhalluzinose)

F1x.53 vorwiegend polymorph

F1x.54 vorwiegend depressive Symptome

F1x.55 vorwiegend manische Symptome

F1x.56 gemischt


F1x.6 amnestisches Syndrom


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Ein Syndrom, das mit einer ausgeprägten chronischen Schädigung des Kurzzeitgedächtnisses einhergeht, das Langzeitgedächtnis ist manchmal beeinträchtigt, während das Immediatgedächtnis erhalten ist. Störungen des Zeitgefühls und des Zeitgitters sind meist deutlich, ebenso die Beeinträchtigung der Fähigkeiten, neues Lernmaterial aufzunehmen. Konfabulationen können ausgeprägt sein, sind jedoch nicht in jedem Fall vorhanden. Andere kognitive Funktionen sind meist ziemlich gut erhalten, die amnestischen Störungen stehen gegenüber anderen Beeinträchtigungen eindeutig im Vordergrund.

Diagnostische Leitlinien

Das durch Alkohol oder sonstige psychotrope Substanzen bedingte amnestische Syndrom soll die allgemeinen Kriterien für ein organisches amnestisches Syndrom (F04) erfüllen. Die wichtigsten für diese Diagnose erforderlichen Kriterien sind:

1.      Störungen des Kurzeitgedächtnisses (Aufnahme von neuem Lernstoff); Störungen des Zeitgefühls (Zeitgitterstörungen, Zusammenziehen verschiedener Ereignisse zu einem, usw.)

2.      Fehlende Störung des Immediatgedächtnisses, des Wachbewußtseins und fehlende allgemeine Beeinträchtigung kognitiver Funktionen.

3.      Anamnestische oder objektive Beweise für einen chronischen und besonders hochdosierten Mißbrauch von Alkohol oder psychotropen Substanzen.

Auch Persönlichkeitsänderungen, häufig mit Apathie und Initiativeverlust und einer Tendenz zur Selbstvernachlässigung können vorhanden sein. Sie gelten jedoch nicht als notwendige Bedingungen für die Diagnose.

Obwohl die Konfabulationen ausgeprägt sein können, sollten sie nicht als Voraussetzung für diese Diagnose angesehen werden.

Dazugehöriger Begriff:

durch Alkohol oder sonstige psychotrope Substanzen bedingte

Korsakowpsychose

Differentialdiagnose:

organisch bedingtes amnestisches Syndrom (nicht alkoholbedingt, F04)

sonstige hirnorganische Syndrome, die zu deutlichen Gedächtnisstörungen führen (z.B. Demenz oder Delir, F00 - F03; F05.-)

depressive Störung (F31 - F33)


F1x.7 Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Eine Störung, bei der alkohol- oder substanzbedingte Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten, des Affektes, der Persönlichkeit oder des Verhaltens noch über den Zeitraum hinaus weiterbestehen, in welchem eine direkte Substanzwirkung angenommen werden kann.

Diagnostische Leitlinien

Der Beginn dieser Störung sollte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol oder einer psychotropen Substanz stehen. Falls ein Zustandsbild verzögert nach dem Substanzkonsum beginnt, sollte eine Einordnung in diesem Abschnitt nur erfolgen, wenn klare und eindeutige Beweise dafür vorliegen, daß dieses Zustandsbild als Residualwirkung der Substanz angesehen werden kann. Die Störung sollte eine Veränderung oder eine beträchtliche Übersteigerung früher normaler Funktionen darstellen.

Die Störung muß über einen Zeitraum, in dem noch direkte Substanzwirkungen angenommen werden können, hinausreichen (siehe F1x.0, akute Intoxikation).

Eine alkohol- oder substanzbedingte Demenz ist nicht immer irreversibel. Nach einer längeren Periode totaler Abstinenz kann es zu einer Verbesserung der intellektuellen Funktionen und des Gedächtnisses kommen. an.

Die Störung ist sorgfältig von Entzugssyndromen ( F1x.3 und F1x.4) zu unterscheiden. Man sollte immer daran denken, daß unter bestimmten Bedingungen und bei manchen Substanzen noch über viele Tage oder Wochen nach dem Absetzen Entzugssymptome auftreten können.

Substanzinduzierte psychotische Störungen, die über den Zeitraum des Konsums hinaus fortbestehen und die Kriterien für die Diagnose einer psychotischen Störung erfüllen, werden nicht hier, sondern unter F1x.5 (psychotische Störung) eingeordnet. Patienten mit einem chronischen Endstadium des Korsakow Syndroms sollten unter F1x.6 eingeordnet werden.

Differentialdiagnose:

Es sind bereits vorher bestehende psychische Störungen, die durch den Substanzgebrauch überdeckt wurden und nach dem Abklingen der Substanz- oder Alkoholwirkung erneut auftreten (z. B. phobische Angst, depressive Störungen, Schizophrenie oder schizotype Störungen) zu erwägen. Bei Nachhallzuständen ist auch an das Vorliegen einer vorübergehenden akuten psychotischen Störung (F23.-) zu denken. Auch an eine organische Schädigung oder eine leichte oder mäßige Intelligenzminderung (F70 - F71) ist zu denken, die zusätzlich zum Substanz- oder Alkoholmißbrauch vorliegen kann.

Die folgenden fünften Stellen dienen der weiteren Unterteilung dieser Kategorie:

F1x.70 Nachhallzustände (flashbacks) können von psychotischen Zuständen zum Teil durch ihr episodisches Auftreten, die häufig sehr kurze Dauer (Sekunden oder Minuten) und durch ihre (gelegentlich exakte) Wiederholung früherer Erlebnisse unter Substanzeinfluß unterschieden werden.

F1x.71 Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung, welche die Kriterien für eine organische Persönlichkeitsstörung (F07.0) erfüllt.

F1x.72 affektives Zustandsbild, das die Kriterien von F06.3 erfüllt.

F1x.73 Demenz, die die allgemeinen Kriterien für Demenz, wie in der Einführung zu Kapitel F00-F09 beschrieben, erfüllt.

F1x.74 sonstige anhaltende kognitive Beeinträchtigung, die nicht die Kriterien eines alkohol- oder substanzbedingten amnestischen Syndroms (F1x.6) oder einer Demenz (F1x.73) erfüllt.

F1x.75 verzögert auftretende substanzbedingte psychotische Störung


F10.0 akute Alkoholintoxikation


 

A. Die allgemeinen Kriterien für eine akute Intoxikation (F1x.0) sind erfüllt.

B. Funktionsgestörtes Verhalten, deutlich an mindestens einem der folgenden Merkmale:

1.      Enthemmung,

2.      Streitbarkeit,

3.      Aggressivität,

4.      Affektlabilität,

5.      Aufmerksamkeitsstörung,

6.      Einschränkung der Urteilsfähigkeit,

7.      Beeinträchtigung der persönlichen Leistungsfähigkeit.

C. Mindestens eins der folgenden Anzeichen:

1.      Gangunsicherheit,

2.      Standunsicherheit,

3.      verwaschene Sprache,

4.      Nystagmus,

5.      Bewußtseinsstörung (z.B. Somnolenz, Koma),

6.      Gesichtsröte,

7.      konjunktivale Injektion. 


F10.07 pathologische Alkoholintoxikation (pathologischer Rausch)


 

A. Die allgemeinen Kriterien für eine akute Intoxikation (F1x.0) sind erfüllt, mit der Ausnahme, daß die pathologische Alkoholintoxikation nach einer Trinkmenge auftritt, die bei den meisten Menschen keine Intoxikation hervorruft.

 

B. Verbale Aggressivität oder körperliche Gewalttätigkeit, die für die betreffende Person in nüchternem Zustand untypisch ist.

 

C. Auftreten sehr bald (meist innerhalb weniger Minuten) nach Alkoholgenuß.

 

D. Kein Hinweis auf eine organische zerebrale oder eine andere psychische Störung.

Anmerkung:

Dies ist eine seltene Störung. Der Blutalkoholspiegel liegt, wenn er erhältlich ist, unter den bei einer akuten Intoxikation bei den meisten Menschen nachweisbaren Spiegeln, meist unter 40mg/100ml.